Weibchenhaltung

Weiberwirtschaft

Der Ausdruck „Weiberwirtschaft“ ist genauso negativ belegt wie „Milchmädchenrechnung“. Genau das passt zur reinen Weibchenhaltung. Eine Meerschweinchen-Weiberwirtschaft wird in der Regel sehr schnell, oder auch erst später, aber ziemlich zuverlässig zu Milchmädchenrechnung und endet mit negativen Erfahrungen. In den wenigen Fällen, wo das nicht bemerkt wurde, wurde vieles anderes auch nicht bemerkt.

Was passiert in reiner Weibchenhaltung?

Durch das Fehlen eines Haremswächters übernimmt das dominanteste Weibchen die Chefrolle. Ist sie ein so genannter „Natural Leader“, wird das für den Menschlichen Eindruck, einfach so sein. Es wird keinen Kampf, meist nicht mal ein wenig Gerangel um den Thron geben. Sie wird für Ruhe und Ordnung sorgen und die Gruppe, wird die meiste Zeit einen sehr harmonischen und ruhigen Eindruck machen.

Dann kommt die Brunst mit ihrem Hormonchaos. Bei Damen, in einer Gruppe von verwandten Tieren oder guten Freundinnen auch noch fast alle gleichzeitig, werden unruhig und brauchen nun ihren Deckakt. Das dominante Weibchen bekommt, je nach Gruppengröße, nun alle Pfoten voll zu tun. Sie muss Zickereien schlichten, für gute Laune sorgen, ihre Damen „decken“ und steht selber ohne Hilfe da. Je nachdem wie ausgeprägt die jeweiligen Damen in der Brunst sind / wie stark der persönliche Hormoncocktail ist reicht ihnen das Aufreiten des dominanten Weibchens oder auch nicht. Denn das Hormonchaos wird nicht durch eine Trächtigkeit wieder beruhigt, sondern durch die Penetration. Doch ohne Penis ist eine Penetration nicht möglich. Aber auch ohne dieses dauert die Brunst nur ca. 10 Stunden. Die Situation beruhigt sich sichtbar, wenn sie denn beobachtet werden konnte. Aber damit ist (wahrscheinlich) noch kein Problem entstanden, aber auch nicht abgewendet.

Da die Natur aus endlosen Wiederholungen besteht, Tag-Nacht-Rhythmus, Jahreszeitenwechsel, … und alle 14 bis 22 Tage Brunst, wiederholt sich die Aufgabe des dominanten Weibchens immer wieder. Sie selber steht alleine da, wird immer intensiver in die Böckchenrolle hinein wachsen und ihre Damen immer unbefriedigt zurück lassen. So baut sich langsam aber sicher Frust auf, der irgendwann in Stress gipfelt. Hat man ein sehr souveränes dominantes Weibchen, wird die Gruppe sichtbar ruhig bleiben. Das gilt aber nur selten für den Hormon- und Gefühlshaushalt.

Was passiert mit dem Sozialverhalten des Mann-Weibchens?

Das dominante Weibchen, das in die Chefrolle der Gruppe aufsteigt oder auch gedrängt wird, eignet sich über die Zeit immer mehr maskuline Verhaltensweisen an. Zu Anfang wird sie nur schlichtend eingreifen, wenn in der Gruppe herum gezickt wird. Sie schlichtet Streit. Das tun Weibchen in Großgruppen häufiger und ist völlig OK und zeugt von einem guten Charakter.

Weibchen möchten aber auch umworben werden. Da sind sie nicht anders als menschlichen Frauen auch. Meist beginnt das dominante Weibchen das bei der besten Freundin zu tun. Der Erfolg wird sie dazu bringen es auch bei den anderen Weibchen zu tun. Sie beginnt zu brommseln und vielleicht sogar zu tanzen. Die anderen Weibchen reagieren drauf und beginnen sie in der Brunst zu bedrängen. Ein paarmal wird das aufreiten des dominanten Weibchens die anderen zufriedenstellen und beschwichtigen. Die ausbleibende Penetration wird auf Dauer zu Frust führen. Besonders bei dem dominanten Weibchen selbst.

Mit jeder Brunst steigt der Hormonspiegel wieder an und erreicht meist immer neue Höhen. Besonders das dominante Weibchen bekommt mit der eigenen Brunst immer schwerere Probleme, weil es niemanden gibt, der ihm helfen kann das Hormonchaos wieder in normale Bahnen zu lenken. Keines der rangniedrigeren Weibchen wird es riskieren bei dem Dominanten aufzureiten. Denn das würde eine Anfechtung ihres Ranges bedeuten und mit einem aggressiven Angriff beantwortet werden. Nach der Brunst wird der Hormonpegel nicht wieder ganz abfallen und so zu einem Kreislauf ohne entkommen und daraus resultierendem Stress führen.

Was sind die zu erwartenden Folgen dieser Situation?

Die Auswirkungen von Stress sind vielfältig. Hier ist damit zu rechnen, dass es in der Gruppe, entsprechend der Rangordnung, zu Unruhe und Anfeindungen kommen wird. Bis hin zu an- und übergriffen die sich bis hinauf gefährlichen Beißereien steigern können.

Eine bedenkliche Nebenwirkung dieser Situation ist die sich immer weiter erhöhende Gefahr von Zystenbildung. Besonders der Legehörner / Gebärhörner.  Zysten haben die hinterhältige Angewohnheit Ärger zu bereiten.

Zysten sind in der Regel unauffällig und werden gar nicht erkannt. Oft sind sie auch völlig harmlos. Aber, wenn sich das Verhalten des / der Weibchen verändert, meist das des dominanten Weibchens zuerst / am stärksten, ist es schon fast zu spät. Der Hormonhaushalt ist durcheinander, Ovarialzysten sind entstanden und bereiten Probleme, die sich in Verhaltensänderungen zeigen können.

Die Veränderung kann sehr subtil sein. Zum Beispiel eine leicht gesteigerte Unruhe des dominanten Weibchens  oder erhöhte Gruppendynamik. Zutrauliche Tiere werden plötzlich scheu, Fress- oder Schlafverhalten verändern sich. Oder auch sehr massiv. Das betroffene Tier zeigt vermehrtes aggressives Verhalten. Nur gegen ein weiteres oder sogar gegen alle anderen Tiere. Die Aggression kann sich auch gegen sich selber richten. Dann reißt sich das Weibchen an den Flanken / Seiten das Fell aus.

Legehörner

Legehörner mit Zysten

 

Das Risiko von Zysten soll in reiner Weiberwirtschaft um bis zu 80% höher liegen als in Gruppen mit Bock / Kastrat. Wobei unbedingt auch erwähnt gehört, dass Trächtigkeiten die Zystenbildung und deren Enttarnung zu aggressiven Tumoren nicht verhindert! Sie kommen nur einfach seltener vor.

Wie ist dem Mann-Weibchen zu helfen?

Das einfachste und schnellste um wieder ein normales und artgemäßes Sozialleben der Gruppe zu gewährleisten ist es einen geeigneten Kastraten dazu zu setzen. Doch woran ist der zu erkennen? Er muss auf alle Fälle erwachsen sein und im Idealfall Weibchenerfahrung haben. Damit scheiden 99,9% der jungen Frühkastraten aus. Anders ist es mit erwachsenen aber frühkastrieren Böckchengesellschaftern. Sie sind meist weniger rabiat als dominante kastrierte Zuchtböcke, können aber mit Weibchen sehr gut umgehen, weil sie ihr Leben lang auch bei der Verpaarung ihres Bocks mit dessen Weibchen zusammen gelebt und alles gelernt haben. Auch ein netter und nicht rabiater kastrierter Zuchtbock ist sehr gut geeignet. In der Regel ist das gesunde dominante Weibchen sehr erleichtert über die Ablösung vom falschen Job.

Ist das nicht der Fall, gibt es nur sehr wenige Erklärungen dafür. Sympathiemangel gehört nicht dazu.  Wohl aber die Meinung der Dame(n), dass der Kerl nichts taugt und ungeeignet für den Job ist. In dem Fall ist der Kastrat zu jung oder ein Softie, der sich zum brommseln in der Hütte versteckt. Er wird niemals eine Dame anklappern. Dieser Fall ist am wahrscheinlichsten, je mehr Weibchen ihn ablehnen.

Ist das auszuschließen, bleibt leider nur noch eine gesundheitliche Beeinträchtigung des dominanten / der Weibchen. In den meisten Fällen handelt es sich um Zysten und / oder eine mehr oder weniger starke Hormonstörung. Auf alle Fälle ist hier ein wirklich guter Tierarzt mit Meerschweinchen Erfahrung gefragt. Zum Glück betrifft es hier selten alle Weibchen. Leider aber an zuverlässigsten das Dominate.

Die Lösung des Problems – der Gang zum Tierarzt

Per Tast-, Ultraschall- und / oder Röntgenbefund wird der Tierarzt seine Diagnose stellen. Leider sind sie bei kleinen Zysten nicht immer zuverlässig. Aber besonders kleine Zysten entarten häufiger hormonell. Vermutlich wird der Tierarzt zu einer probeweisen Hormonbehandlung raten. In der Regel gibt es eine Spritze.  Zeigt die Wirkung, kommt nun die Frage auf, wie die Behandlung weiter gehen soll. Erfahrungen nach kommen die Zysten immer wieder. Egal ob man homöopathisch behandelt oder mit Hormonen. Früher oder später tauchen also wieder Probleme auf. Zuverlässiger ist dann eine Kastration des Weibchens.  

Eine Kastration, oft auch Sterilisation genannt, ist ein massiver Eingriff. Die Überlebenschance einer Leghornentfernung bei (Verdacht) auf Zysten wird von den ansonsten gesunden und fitten Damen in der Regel sehr gut überstanden. In diesem Fall ist das Narkoserisiko der größte Gefahrenpunkt. Anders sieht es bei einer Kastration nach Kaiserschnitt aus. Das überleben erschreckend wenig Meerschweinchen, da der Eingriff größer und belastender ist. Bitte diese beiden Formen der Legehornentfernung nicht verwechseln!

Es wird von sozialen Schwierigkeiten zwischen Kastratin und Kastrat durch ausbleibende Brunst berichtet. Ein netter ehemaliger Zuchtbock wird damit kein Problem haben, weil er davon ausgeht, dass die Lady tragend ist und wartet (vergeblich) auf seine Nachzucht.  Ein rabiater oder unerfahrener Kastrat kann von der ausbleibenden Brunst und daraus resultierenden vermeintlichen Ablehnung irritieret sein. Er wird sich ihr vermutlich dann gelegentlich aufdrängen. Aber gegen aufdringliche Böcke haben Weibchen eine serienmäßige Abwehrvorrichtung. Sie (sorry) pissen sie einfach an.

Mehr zu Kastration und Ovarektomie

Sollte das aggressive Verhalten eines Weibchens sich durch diese Behandlungen nicht ändern, oder sich sogar noch verschlechtern, ist leider über die Möglichkeit nachzudenken, ob ein Tumor dahinter steckt.

Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren

Am 7. Mai 2014 haben die Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Überarbeitung des Säugetiergutachtens Frau Dr. Maria Flachsbarth, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, das Gutachten übergeben. In diesem sind von Affe bis Zebra, unter Berücksichtigung des neuesten wissenschaftlichen Standes, die in dreijähriger Arbeit ermittelten Daten festgeschrieben. Es beschreibt ab Seite 151 Punkt 15.11 alles was die Haltung von "Eigentliche Meerschweinchen (Caviinae) und Maras (Dolichotinae)" betrifft.

Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V Hat für Liebhaberhalter, bzw. Haltungen ohne nennenswerte Veränderung der Gruppe durch Zuwachs diese Richtlinie erarbeitet.

Zum Trennen streitender Meerschweinchen

Bitte nie mit den Händen! Auch dicke Hand- oder Arbeitshandschuhe helfen nicht. Stellen sie erst eine räumliche Trennung durch ein passendes Brett oder Möbel her. Warten sie ab, bis das Tier sie erkennt und nicht doch noch in Rage angreift. Eine weit aufgerissene Meerschweinchenschnute erinnert an eine Schlange oder ein Flusspferd. Da passt eine ganze Menge zwischen. Auch die Beißkraft möchten sie nicht an den eigenen Händen erleben. Dem folgt eigentlich immer zumindest ein Arztbesuch, oft genug steht sogar ein Termin in der chirurgischen Ambulanz an.

Hier ein paar Bilder zu einem vollständigem Durchbiss mit anschließender Infektion die sogar einen Krankenhaus Aufenthalt zur Folge hatte.

Das ist nicht die Regel, aber eine wirksame Wahrung die Finger nicht zwischen streitende Meerschweinchen zu halten.

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